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Kraftfahrtversicherung

AG Dortmund – Arglist, Vorsatz und der Kausalitätsgegenbeweis

Das Amtsgericht Dortmund hat mit Urteil vom 26.07.2016 – Aktenzeichen 425 C 10995/15 – entschieden, dass nicht bei jedem Fall eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB auch ein Fall der Arglist i.S.d. § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG vorliegt. Zudem verbiete es sich nach Ansicht des Gerichts von Vorsatz auf Arglist zu schließen, als dass andernfalls das zusätzliche Merkmal der Arglist und der Kausalitätsgegenbeweis überflüssig wären.

Was war passiert?

Beim Wenden mit dem Taxi stieß der Beklagte gegen einen Begrenzungspoller. Der Beklagte bemerkte den Unfall und verließ die Unfallstelle ohne die notwendigen Feststellungen zu ermöglichen. Der Beklagte räumte der Polizei gegenüber ein, gefahren zu sein und den Unfall verursacht zu haben. Die KH-Versicherung regulierte den Schaden und forderte den Beklagten vergeblich zur Rückzahlung der von ihr geleisteten Entschädigung auf.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Amtsgericht hat die Klage der Versicherung auf Rückzahlung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass keine Leistungsfreiheit des Versicherers gemäß § 28 Abs. 2, 3 VVG eingetreten sei. Durch das Entfernen vom Unfallort, ohne zuvor zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die erforderlichen Feststellungen bzgl. seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung zu ermöglichen, habe der Beklagte gegen seine vertraglichen Obliegenheiten aus E 1.3 der AKB verstoßen und zugleich eine Unfallflucht gemäß § 142 Abs. 1 StGB begangen. Er habe auch mit Vorsatz gehandelt, da er den Unfall bemerkte und sich dennoch entfernte. Jedoch sei dem Beklagten keine Arglist im Sinne von § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG vorzuwerfen, weshalb es ihm möglich sei den Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG anzutreten. Da der Klägerin keine Feststellungsnachteile durch das Verhalten des Beklagten entstanden seien, sei der Kausalitätsgegenbeweis als erbracht anzusehen.

Kontext der Entscheidung

Das Urteil beschäftigt sich mit der überaus praxisrelevanten Frage der versicherungsrechtlichen Folgen einer Verkehrsunfallflucht. Inwieweit für den Versicherer eine Regressmöglichkeit offensteht, richtet sich nach § 28 Abs. 2 und 3 VVG. Danach ist der Versicherer leistungsfrei, wenn der Vertrag bestimmt, dass der Versicherer bei Verletzung einer vom Versicherungsnehmer zu erfüllenden vertraglichen Obliegenheit nicht zur Leistung verpflichtet ist, und wenn der Versicherungsnehmer eine solche Obliegenheit vorsätzlich verletzt hat. Jedoch ist abweichend von Absatz 2 der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Diese Regelung gilt wiederum dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Voraussetzung für einen Regress ist somit, dass die Versicherungsbedingungen überhaupt eine entsprechende Obliegenheit beinhalten. Der Versicherer muss sich zudem ausdrücklich auf Leistungsfreiheit wegen einer Obliegenheitsverletzung berufen. Eine „Berücksichtigung von Amts wegen“ durch das Gericht erfolgt nicht (vgl. BGH in VersR 2005, 494). Zudem muss die Obliegenheit hinreichend genau gefasst sein, sprich dem Versicherungsnehmer muss deutlich sein, was mit der Obliegenheit konkret von ihm verlangt wird (vgl. BGH in VersR 1990, 896). Auch bedarf es einer konkreten Anordnung, dass für den Fall einer Obliegenheitsverletzung Leistungsfreiheit die Folge ist.

In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob der Versicherungsnehmer die wirksam vereinbarte Obliegenheit verletzt hat und welcher Grad des Verschuldens anzunehmen ist. Steht, wie im konkreten Fall, eine vorsätzliche Begehung fest, so scheidet eine Leistungsfreiheit gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG dennoch aus, wenn die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Dies gilt lediglich dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer arglistig gehandelt hat, § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG. Von einer vorsätzlichen Begehung „automatisch“ auf Arglist zu schließen, findet, entgegen der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung (vgl. LG Düsseldorf in Schaden-Praxis 2011, 229), keine Stütze im Gesetz. Vielmehr sieht § 28 VVG eine Abstufung vor, an welcher sich Sanktionen einer Obliegenheitsverletzung ausrichten. Daher muss, worauf das Amtsgericht zutreffend hinweist, der Versicherungsnehmer zur Erfüllung des Merkmals der Arglist einen gegen die Interessen der Versicherung gerichteten Zweck verfolgen und ihm muss bewusst sein, dass sein Verhalten den Versicherer im Rahmen der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (LG Offenburg, Urteil vom 23.08.2011 in Schaden-Praxis 2011, 406; LG Saarbrücken, Urteil vom 01.10.2010 – 13 S 75/1; LG Bonn, Urteil vom 15.11.2012 – 6 S 63/12). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Es gibt insoweit keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass der Versicherungsnehmer, der trotz Kenntnis seiner Verpflichtungen eine Unfallstelle verlässt, ohne die erforderlichen Feststellungen zu treffen, dies stets mit dem Willen tut, in Verfolgung eines gegen den Versicherer gerichteten Zwecks auf dessen Willen einzuwirken. Vielmehr müssen besondere weitere Umstände hinzutreten, die für sich allein oder in ihrer Gesamtschau einen anderen Schluss als denjenigen auf Arglist ernstlich nicht in Betracht kommen lassen. So wurde Arglist beispielsweise in einem Fall angenommen, in welchem sich der Versicherungsnehmer in dem Wissen, einen (Bagatell-) Schaden verursacht zu haben, vorsätzlich unerlaubt vom Unfallort entfernte und auch wusste, dass er damit die an sich gebotene Schadensabwicklung über die Versicherung unmöglich macht (Landgericht Wuppertal, Urteil vom 08.01.2015 – 9 S 143/14).

Kann eine Arglist nicht angenommen werden so stellt sich in einem nächsten Schritt die Frage, ob der Versicherungsnehmer den ihm obliegenden Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG führen kann.  Diesen Beweis kann der Versicherungsnehmer derart führen, dass er zunächst die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Möglichkeiten ausräumt und dann abwartet, welche Behauptungen der Versicherer über Art und Ausmaß aufstellt, die der Versicherer dann ebenfalls zu widerlegen hat (vgl. BGH in NVersZ 2001, 330). Maßgeblich ist, ob dem Versicherer Feststellungsnachteile entstanden sind. Dies ist wiederrum eine Frage des Einzelfalls deren Beantwortung sich beispielsweise daran orientiert, ob dem Verkehrsunfall ein „komplizierter“ Hergang zugrunde liegt und Zeugen vorhanden sind. Auch mag zeitnah, wie in dem hier entschiedenen Fall, die Polizei die erforderlichen Feststellungen hinsichtlich Schuld, Schaden, Unfallfahrer und Wagen treffen können.

Fazit

Regresse der Versicherer auf Grund einer Unfallflucht Ihres Versicherungsnehmers oder des mitversicherten berechtigten Fahrers werden die Gerichte auch weiterhin beschäftigen. Verständlicherweise haben Versicherer ein Interesse daran, Unfallfluchten zu „sanktionieren“. Hierbei darf jedoch das abgestufte System des § 28 VVG nicht außer Acht gelassen werden.

Hauke Flamming LL.M.

Hauke Flamming ist Fachanwalt für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.