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Krankenversicherung

BGH zur Abgrenzung zwischen Krankheit und kosmetischem Eingriff

Was war passiert?

Die versicherte Person (VP) in einem Krankheitskostenversicherungsvertrag hatte vor Vertragsabschluss eine Brustvergrößerung mittels Implantaten vornehmen lassen, was bei Antragstellung nicht angegeben wurde. Der Versicherungsvertrag sah nach den vereinbarten AVB, deren ersten Teil die Musterbedingungen des Verbandes der privaten Krankenversicherung (MB/KK 94) bilden, im Versicherungsfall Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen vor. Die Definition des Versicherungsfalles lautet dort:

„Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen.“

Im versicherten Zeitraum kam es bei der VP in der linken Brust zu einer Implantatdislokation; in der rechten Brust entwickelte sich eine durch das Implantat verursachte schmerzhafte Kapselfibrose. Die Brustimplantate mussten deshalb ausgewechselt werden, was Behandlungskosten in Höhe von 4.629,61 EUR verursachte. Der Versicherer verweigerte die begehrte Kostenerstattung wegen bedingt vorsätzlicher Herbeiführung der Komplikationen auf Grundlage der versicherungsvertraglich vereinbarten Einschränkung der Leistungspflicht im Falle der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalls. Die entsprechende Klausel lautet:

§ 5 Einschränkung der Leistungspflicht
„(1) Keine Leistungspflicht besteht (…)
b) für auf Vorsatz beruhende Krankheiten und Unfälle einschließlich deren Folgen (…)“

Der Versicherer sah die Voraussetzungen einer Leistungsfreiheit als gegeben, weil die VP in die ursprüngliche Brustvergrößerung trotz eingehender Risikoaufklärung eingewilligt habe. Damit habe sie die bei diesem Eingriff relativ häufig auftretenden Komplikationen zu denen auch eine Kapselfibrose oder eine unerwünschte Formveränderung zähle, bedingt vorsätzlich herbeigeführt.

Die Entscheidung der Instanzgerichte

Diese Auffassung teilte sowohl das Landgericht Mannheim, als auch in zweiter Instanz das OLG Karlsruhe; in beiden Instanzen hatte die Klage keinen Erfolg. Das Berufungsgericht sah bereits das Vorhandensein von Brustimplantaten als bedingungsgemäße Krankheit an, da diese aus rein kosmetischen Gründen eingebrachten Fremdkörper zu einem anormalen, regelwidrigen Körperzustand führten. Diesen Zustand habe die VP zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt. Im Übrigen sei aber auch die Kapselfibrose vom bedingten Vorsatz der VP erfasst, weil es sich dabei um eine natürliche, in 5-20% der Fälle eintretenden Fremdkörperreaktion handele, worüber sie im Vorfeld aufgeklärt worden sei. Jedenfalls dann, wenn es sich bei einer Folgeerkrankung um eine nicht ganz fernliegende Folge des ursprünglichen Eingriffs handele, sondern diese Folge eines natürlichen Abstoßungsprozesses sei, welcher in einer bedeutsamen Zahl von Fällen auftrete, nehme die über diese Folge aufgeklärte versicherte Person diese billigend in Kauf.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hob das Urteil des OLG Karlsruhe auf und verwies die Sache zur Erhebung weiterer Feststellungen nach dort zurück (Urteil vom 17.02.2016 – IV ZR 353/14).

Brustimplantate keine Krankheit

Der BGH stellte klar, dass die vor Vertragsschluss vorgenommene Brustvergrößerung mittels Implantaten nicht zu einer Krankheit geführt habe.
Kosmetische Eingriffe, die keinen weiteren Behandlungsbedarf erzeugen, stellten keine Krankheit im Sinne der AVB dar. Die AVB seien – nach Maßgabe des allgemeinen Sprachgebrauchs – so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehe. Eine Krankheit sei nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringe und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründe. Bereits liege kein medizinisch regelwidriger Zustand vor, wenn ein Arzt den Zustand unter Beachtung medizinischer Regeln und Sorgfaltsanforderungen durch Einbringung von Brustimplantaten herbeiführe und dies bei normalem, komplikationsfreiem Verlauf auch nicht zur Störung körperlicher oder geistiger Funktionen führe und keinen Behandlungsbedarf begründe. Lasse eine versicherte Person bewusst und gewollt einen ärztlichen Eingriff aus kosmetischen Gründen vornehmen, so werde auch der dadurch geschaffene Zustand, selbst dann, wenn ein Fremdkörper implantiert werde, weder von der Rechtsgemeinschaft noch von einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer als „krankhaft“ angesehen.

Billigende Inkaufnahme von Folgeerkrankungen möglich

Allenfalls die späteren Komplikationen „Kapselfibrose“ und „Implantatdislokation“ könnten Krankheiten darstellen. Ob deren Herbeiführung vorsätzlich erfolgt, müsse allerdings jeweils für den Einzelfall unter umfassender Würdigung der Fallumstände festgestellt werden. Es bestehe kein Erfahrungssatz, wonach sich die versicherte Person mit allen ihr durch ärztliche Aufklärung bekannt gewordenen möglichen Krankheitsfolgen eines geplanten ärztlichen Eingriffs, die mit einer gewissen Häufigkeit auftreten, im Sinne einer billigenden Inkaufnahme abfindet.

Kerstin Jeske

Kerstin Jeske ist Fachanwältin für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.