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Unfallversicherung

Wann ein Unfallereignis „plötzlich“ ist – Anmerkung zum Urteil des KG Berlin vom 21.04.2016

Was war passiert?

Der Versicherungsnehmer (VN) eines Vertrages über eine Private Unfallversicherung (auf Grundlage der AUB 2008) hatte behauptet, nach einem Tauchgang „zu schnell” aufgetaucht zu sein und hierdurch eine Dekompressionskrankheit erlitten zu haben. Mit der zunächst vor dem Landgericht Berlin (7 O 31/15) erhobenen Klage hatte der VN bei Vorgabe einer mit 100% zu bemessenden Invalidität die Zahlung einer Invaliditätsleistung in Höhe von 225.000 EUR begehrt. Der VN hatte sich zur Begründung seines Begehrens auf den Vortrag beschränkt, dass

  • er „zu schnell aufgetaucht“ sei (weil der Auftauchvorgang durch einen „Krampf“ gestört worden sei),
  • er hierdurch eine Dekompressionskrankheit erlitten habe und
  • infolgedessen eine Invalidität mit einem Grad von 100% bestünde.

Dem Landgericht genügte dieser Vortrag nicht; es monierte mit seinem klageabweisenden Urteil, dass eine Dekompressionskrankheit nicht erwiesen sei. Insbesondere sei nicht erkennbar sei, dass der Auftauchvorgang objektiv innerhalb eines kurzen Zeitraums erfolgt sei (im Sinne von „plötzlich“). Zwar könnten auch Ereignisse vom Versicherungsschutz umfasst sein, die sich objektiv nicht innerhalb eines kurzen Zeitraums ereigneten, wenn sie für den Betroffenen unerwartet, überraschend und unentrinnbar sind. Auch diese Voraussetzungen lege der Kläger jedoch nicht dar, da jedem Taucher beim Auftauchen gewärtig sei bzw. sein müsse, dass der Wasserdruck abnimmt. Die Veränderung der Luftdruck- und Sauerstoffverhältnisse seien nach objektiven Maßstäben nicht überraschend und unentrinnbar, die Gesetzmäßigkeit der Druckverhältnisse sei vielmehr allgemein bekannt. Zum „krampfbedinten zu schnellen Autauchen“ moniert das Landgericht fehlende Beweisanträge.

Rechtlicher Kontext

Die private Unfallversicherung bietet Versicherungsschutz für „Unfälle“ und vom Eintritt eines solchen ist nach § 178 Abs. 2 VVG auszugehen, wenn die versicherte Person durch ein

  • plötzlich
  • von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis)
  • unfreiwillig
  • eine Gesundheitsschädigung erleidet.

Im hier behandelten Fall ist das Tatbestandsmerkmal „plötzlich“ streitig:

Wäre der Eintritt einer Dekompressionskrankheit plötzlich? Kommt diese bei einem Tauchgang „aus heiterem Himmel“? Wann ist der Eintritt eines Ereignisses „plötzlich“ im Sinne von § 178 Abs. 2 VVG?

Nach gefestigter Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung enthält der Begriff „plötzlich“ ein objektives und ein subjektives Element: Neben dem

  • objektiven Zeitmoment (innerhalb eines kurz bemessenen Zeitraums) besteht ein
  • subjektives Element des Unerwarteten, nicht Vorausgesehenen, Unentrinnbaren, welches mithin an  die Erwartungen und Vorstellungen des Betroffenen anknüpft.

Die beiden „Plötzlichkeits-Elemente“ müssen nicht kumulativ vorliegen, ausreichend ist, wenn eines der beiden Elemente einschlägig ist.

Plötzlich = objektiv innerhalb kurzer Zeit und/oder subjektiv unerwartet

In zeitlicher Hinsicht wird „plötzlich“ gemeinhin als das Gegenstück zu „allmählich“ qualifiziert. In Bezug auf das Element des Unerwarteten ist entscheidend ist, ob der Verletzte die gesundheitsschädigende Wirkung vorhergesehen hat (und nur das, d.h. unmaßgeblich ist, ob er sie vorhersehen konnte).

Fraglich ist immer wieder, ob es ausreichend ist, wenn ein Ereignis subjektiv unerwartet ist und ob mithin vollständig auf das objektive Zeitelement verzichtet werden kann. Während nach der Gesetzesbegründung zum VVG der Schwerpuntk der Beurteilung auf dem subjektiven Moment liegen soll, sieht der BGH im subjektiven Element eher ein „hilfsweise“ zu berücksichtigendes Element, auf das nur dann abzustellen sein soll, wenn sich die Plötzlichkeit nicht bereits aus dem kurz bemessenen Zeitraum ergibt. Wörtlich hat sich der BGH hierzu zuletzt im „Kokainspritzen-Fall“ wie folgt positioniert:

Hat sich die Injektion des Kokains objektiv innerhalb eines kurz bemessenen Zeitraums vollzogen, so ist die Voraussetzung „plötzliches Ereignis” erfüllt, ohne dass es auf die Erwartungen des Betroffenen ankommt.

BGH, Urteil vom 16.10.2013 – IV ZR 390/12, r+s 2014, 34

Entscheidung des KG

Im Ergebnis hat das KG Berlin die Entscheidung des Landgerichts gehalten und die Berufung zurückgewiesen.

Das KG weist aber darauf hin, dass es in Bezug auf die Frage der „Plötzlichkeit“ nicht darauf ankommt, ob die Veränderung der Druckverhältnisse „allgemein bekannt“ sei, sondern maßgeblich sei allein, ob der VN mit einer Gesundheitsschädigung gerechnet habe:

„Maßgeblich ist, ob die schädigende Wirkung unerwartet war. Nicht, ob sie bekannt war.“

Nach Auffassung des KG kann mithin auch eine während des Tauchens aufgetretene Dekompressionskrankheit „plötzlich“ im Sinne des Unfallbegriffs sein, wenn die VP mit einer solchen Schädigung nicht gerechnet hat (mag deren Eintritt auch allgemein bekannt sein).

Dennoch konnte die Berufung keinen Erfolg haben, weil auch das KG nicht davon überzeugt war, dass der VN tatsächlich eine Dekompressionskrankheit erlitten hat (und nicht stattdessen eine kardiogene Hirnembolie). Der Geschädigte konnte nämlich nicht beweisen, dass es gerade zu einer Dekompressionskrankheit gekommen sein soll, insbesondere vermochte er nicht zu beweisen, dass die typischen Ursachen für deren Auftreten (schnelles Auftauchen ohne nötige Zwischenstopps) gegeben waren. Dies ging zu Lasten des beweisbelasteten VN.

Dr. René Steinbeck

Dr. René Steinbeck ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Partner der Boutique für Versicherungs- und Haftpflichtrecht Steinbeck und Partner.